Erfolg bei mündlichen Prüfungen

Die häufigsten Fehler und wie man sie vermeidet

Viele Studenten müssen irgendwann zu einer mündlichen Prüfung. Dort wird innerhalb von nur 20 oder 30 Minuten eine Note festgelegt, die direkt ins Abschlusszeugnis eingeht. Als Prüfer erlebe ich seitens der Prüflinge immer wieder die gleichen Fehler, die zu enttäuschenden Noten oder mitunter auch zum Nichtbestehen der Prüfung führen. In diesem Artikel gebe ich diese Erfahrungen weiter und schreibe gleich ein paar eigene Tipps, wie man diese Fehler vermeiden kann.

Fast immer sind es die gleichen Dinge, die in mündlichen Prüfungen dazu führen, dass ein Prüfling die gestellte Frage nicht oder nicht optimal beantworten kann. Diese sind, in der Reihenfolge der Wichtigkeit:

  1. Nur passiv gelernt
  2. Wissen - Verstehen - Anwenden
  3. Sich auf die Bäume statt auf den Wald konzentriert
  4. Sich nicht ausreichend informiert
  5. Vorbereitung nicht ernst genommen oder unterschätzt
  6. Herumeiern statt direkt antworten

 

1. Nur passiv gelernt

Beim Lernen einer Fremdsprache unterscheidet man zwischen passivem und aktivem Wortschatz. Zum passiven Wortschatz gehören die Wörter, die man kennt, wenn man sie hört; zum aktiven Wortschatz gehören die Wörter, die man selbst richtig einsetzen kann. Der aktive Wortschatz ist meist deutlich kleiner als der passive. Der passive Wortschatz ermöglicht es mir, vorliegende Texte in der fremden Sprache zu verstehen, während der aktive Wortschatz es mir ermöglicht, selbst Texte zu verfassen.

Genauso scheint es sich auch mit Prüfungsstoff zu verhalten: es gibt aktives und passives Wissen. Zur Illustration ein typisches Beispiel aus einer Simulationsprüfung:
Prüfer (ich): "Wie stellt man Simulationsergebnisse dar?"
Student: "Das weiß ich nicht."
Ich: "OK. Was ist ein Konfidenzintervall?"
Student: "Ein Konfidenzintervall ist eine Methode zur Darstellung von Simulationsergebnissen, ... usw."
Dieses Beispiel hört sich vielleicht unmöglich an, kommt aber in dieser oder ähnlicher Form in Prüfungen immer wieder vor.

Die Ursache scheint klar zu sein: sie liegt in der Art der Prüfungsvorbereitung. Da werden Notizen oder Skripte immer wieder durchgelesen, um sicherzugehen, dass alles "drin" ist. Nur, es fehlt dabei der aktive Umgang mit dem Wissen.

Ich habe einmal einer Studentin nach einer nicht sehr guten Prüfung eine mittelmäßige Note gegeben. Sie war völlig entsetzt, griff in ihre Tasche und zeigte mir einen A4-Notizblock, der von Deckblatt zu Deckblatt gefüllt war mit sehr detaillierten Notizen zur Vorlesung. Sie hatte tagelang diese Notizen immer wieder durchgelesen und war der Meinung, bestens vorbereitet zu sein auf die Prüfung. Sie konnte zwar auf die von mir gelieferten Stichworte antworten, konnte aber von sich aus nichts erarbeiten.

 

2. Wissen - Verstehen - Anwenden

In jedem Fachgebiet gibt es eine Progression: Wissen . Verstehen . Anwenden. Wissen bezeichnet die Fakten und Definitionen, also die Dinge die man in Büchern und Skripten nachlesen und die man auswendig lernen kann. Danach kommt das Verständnis: man versteht die Zusammenhänge und weiß, warum sie so sind, wie sie sind. Verständnis macht das Lernen von Faktenwissen weitgehend überflüssig, da man dieses aus dem tiefer gehenden Verständnis heraus jederzeit selbst wieder herstellen kann. Wenn man etwas verstanden hat, kann man es schließlich (vielleicht) auch anwenden. Durch die Anwendung bestätigen sich auch das Verständnis und das Wissen.

Das zeigt sich auch in folgendem Ausschnitt aus einer Simulationsprüfung:
Ich: "Was ist die Definition eines Konfidenzintervalls?"
Student: "Ein Konfidenzintervall ist eine Ungleichung, die ... usw. "
Ich: "Schön! Warum ist ein Konfidenzintervall so definiert?"
Student: "Öhm..."
Ich: "Hier ist eine Reihe von Simulationsergebnissen. Bitte bauen Sie mir daraus ein Konfidenzintervall!"
Student: (schweigt)

Schriftliche Prüfungen sind meist ausgelegt, um Wissen abzufragen. In mündlichen Prüfungen dagegen nutzt der Prüfer gerne die Gelegenheit, Verständnis und Anwendung zu testen. Das können auch Sachen sein, die in der Vorlesung nicht explizit erwähnt wurden.

Eine typische Prüfung ist so aufgebaut, dass sie mit einer Wissensfrage beginnt. Kann der Prüfling diese Frage beantworten, wird im zweiten Schritt nach dem Verständnis gefragt. Ist dieses auch vorhanden, wird schließlich nach der Anwendung gefragt. Das Ganze wird dann für unterschiedliche Themen wiederholt bis die Zeit um ist. Die Prüfung besteht man, wenn man die Wissensfragen gekonnt hat; gute und sehr Noten gibt es nur, wenn man auch verstanden hat, wie die Sache funktioniert und wie man sie anwenden kann.

 

3. Sich auf die Bäume statt auf den Wald konzentrieren

Die hängt mit dem letzten Punkt zusammen: manche Studenten konzentrieren so stark darauf, die Details des Stoffs zu lernen, dass sie vergessen, sich um deren Bedeutung zu kümmern. Dabei sind die Details (z.B. mathematische Formeln) gewissermaßen am wenigsten wichtig, denn man kann sie in der Praxis immer in einem Fachbuch nachschlagen. Das geht aber nicht so leicht für Verständnis- und Hintergrundfragen.

Um die Situation besser zu verstehen, muss man sich nur in die Lage des Prüfenden versetzen: will er nur prüfen, ob ein Student irgendwelche Details aus dem Skript auswendig gelernt hat, oder interessiert ihn mehr, ob ein Student sein Fachgebiet verstanden hat? Ich z.B. ziehe einem Prüfling keine Punkte ab, wenn er eine mathematische Formel nicht kennt (und es gibt viele Formeln in der Simulation!), sofern er mir erklären kann, wo die Formel herkommt und was sie bedeutet.

 

4. Sich nicht ausreichend informieren

Oft ist viel Information über eine Prüfung verfügbar. Der Fachschaftsrat Informatik (FaRaFIN) hält beispielsweise alte Klausuren oder Listen von Fragen bereit. Diese kann man nutzen, wenn man sich auf die Prüfung vorbereitet.

Ich selbst habe die Listen aller Prüfungsfragen für die Simulationsvorlesungen ins Internet gehängt, und ich gebe dem FaRaFIN Kopien der Klausuren für seine Sammlung. Außerdem ändern sich die Fragen, die ich stelle, sowieso kaum von Semester zu Semester. Darüber hinaus kündige ich in den Vorlesungen an, dass es zu dem heutigen Thema eine Prüfungsfrage geben wird. Trotz all dieser Vorabinformation gibt es jedes Semester Studenten, die diese Fragen nicht beantworten können. Unglaublich, aber dennoch wahr.

 

5. Vorbereitung nicht ernst genommen oder unterschätzt

Eine ganz einfache Sache: ein Prüfling plant zu wenig Zeit für die Prüfungsvorbereitung ein oder unterschätzt die Schwierigkeit des Stoffes. Ist ganz leicht zu beheben: man besorgt sich zum Semesterbeginn den Fragekatalog und erarbeitet die Fragen wenn sie in der Vorlesung auftauchen (und nicht erst hinterher, zwei Tage vor der Prüfung.)

 

6. Herumeiern statt direkt antworten

Wenn ein Student die Antwort auf eine Frage nicht kennt, ist das Beste, was er machen kann, das einfach zu sagen. Das gibt dem Prüfer die Gelegenheit, die Frage anders zu stellen, oder auf die nächste Frage überzugehen. Leider neigen einige Studenten dazu, in dieser Situation herumzueiern und alles Mögliche zu erzählen, nur die geforderte Antwort nicht. Das kostet wertvolle Zeit und wird vom Prüfer sowieso sofort durchschaut. Wenn man eine Frage nicht beantworten kann, ist es wichtig, so schnell wie möglich zur nächsten Frage zu kommen!

 

Tipps zur Vermeidung der Fehler

  • Fragekatalog frühzeitig besorgen und Fragethemen gleich beim Auftreten während des Semesters bearbeiten.
  • Nicht nur das "Was?" des Stoffes lernen, sondern sich auch fragen "Warum ist das so?", "Wie hängt das zusammen?" und "Welche Bedeutung oder Konsequenzen hat das?"
  • Die Prüfung simulieren. Einfach jemanden holen, der die Rolle des Prüfers übernimmt. Am besten natürlich jemand, der sich ebenfalls auf die Prüfung vorbereitet oder sie sogar schon bestanden hat. Dieser stellt dann Fragen, auf die Ihr antworten musst. Erst wenn Ihr Eure Antwort ohne Zögern und Stolpern aussprechen könnt, gilt das Thema als prüfungsreif! Das Aussprechen der Antwort ist der Test des Könnens, nicht das Überfliegen eines Manuskripts!

Die beste Methode, etwas zu lernen, ist so zu lernen, als müsste man den Stoff selbst unterrichten, und der beste Weg zu testen, ob man ein Thema beherrscht, ist, das Thema jemand anderem zu erklären. Albert Einstein hat einmal gesagt: "Man hat eine Sache erst dann verstanden, wenn man sie seiner Großmutter erklären kann." Aus diesem Grund ist die Simulation der Prüfung die effektivste Prüfungsvorbereitung, die ich kenne.

Nun wünsche ich Euch viel Erfolg im Studium und ganz besonders bei den Prüfungen!

Graham

N.B. Dieser Artikel gibt nur meine eigenen Erfahrungen und Meinungen wider. Andere Hochschullehrer können abweichende Meinungen und Erwartungen haben; andere Fachrichtungen haben auch traditionell einen anderen Prüfungsstil (Stichwort: "Paukfächer"). Das hier Geschriebene gilt in diesen Fällen also nur mit Einschränkungen. Daher ist es immer am besten, sich direkt an der Quelle über Inhalt, Erwartungen und Stil einer Prüfung zu informieren.

Letzte Änderung: 07.03.2012 - Ansprechpartner: Webmaster